Ein Deutscher trifft auf die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche.

Einem evangelischen Pastor aus dem verrufenen Kölner Stadtteil Chorweiler habe ich die großartige Möglichkeit zu verdanken, die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche genauer kennenzulernen. Als vielbeschäftigter evangelischer Pastor fühlte er sich überfordert, auch viele Briefe für die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche zu schreiben und hatte mich dann ausgesucht, diese Aufgabe für ihn zu übernehmen.

Mit der Orthodoxie hatte ich bisher nichts zu tun gehabt und von Äthiopien wußte ich nur das geografisch Notwendigste, nichts aber über die innere Struktur der uralten Kirche, die angeblich noch halb mit Zaubersprüchen arbeitete. So war ich sehr gespannt, Herrn Dr. Tebege, den Priester der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland kennenzulernen. Herr Dr. Tebege sprach gut deutsch und ich fragte mich, warum braucht der jemanden, der ihm die Briefe schreibt. Die gemeinsame Arbeit begann damit, dass Herr Dr. Tebege mich bat, einen „Bettelbrief“ an den späteren Kardinal Kasper, damals Bischof von Rottemburg zu schreiben. Wie selbstverständlich war ich davon ausgegangen, dass mir der Brief inhaltlich vorgelegt werden würde und dass ich dann für die korrekte deutsche Formulierung und die korrekte Grammatik zuständig sein sollte. Weit gefehlt; Herr Dr. Tebege beschrieb das Problem, nämlich dass die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche kein Geld habe und er aber Geld brauche zur pastoralen Betreuung der Äthiopier in Baden-Württemberg und hierzu solle die katholische Kirche im ökumenischem Sinne ihr Scherflein beitragen. Dann wartete er ruhig ab, bis der Brief fertig geschrieben war und unterschrieb ohne zu zögern den ersten unvollkommenen Bettelbrief meiner Karriere. So war das eigentlich nicht von mir gedacht, dass ich selbst für die inhaltliche Gestaltung verantwortlich sein sollte; aber genau das war die Herausforderung. Ich wollte mich der Aufgabe stellen, gut für die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche zu arbeiten. Bettelbriefeschreiben war zwar etwas Neues aber nicht allzu weit von dem Üblichen, was ein Jurist an Schreibkram zu erledigen hat.

Aber es blieb nicht bei den Bettelbriefen, immer wieder mußten in den Briefen theologische Fragen mitbeantwortet werden und es blieb bei der begonnen Arbeitsteilung. Herr Dr. Tebege schilderte die Problemlage und erwartete einen fertigen Brief und mir blieb nichts anderes übrig, mich der Orthodoxie und insbesonders der äthiopischen Orthodoxie auseinanderzusetzen.

Ich erinnerte mich vage an den Religionsunterricht im Heiligen Köln, bei dem die Orthodoxie so schlecht wegkam, weil die das „filioque“ im Glaubensbekenntnis nicht anerkannte. Weil ich damals die Fragestellung überhaupt nicht verstand, blieb bei mir nur der Eindruck, dass die Orthodoxie eine alte Kirche sei, die schon seit Jahrhunderten die geschichtliche Entwicklung verschlafen hat. Als moderner Mensch wollte ich doch mit der Orthodoxie nichts zu tun haben. Und nun arbeitete ich ehrenamtlich für eine orthodoxe Kirche, die laut einem alten Lexikon sich sogar der Zauberei verschrieben hatte.

Mein Glück war, dass ich Herrn Dr. Tebege samt seiner Familie als modernen Menschen kennengelernt hatte, und je mehr ich ihn kennenlernte, desto mehr bewunderte und  achtete ich seine Treue zur Orthodoxie. Spannungsfrei war unser Verhältnis nicht, denn meine Vorstellungen von Friede, Religions- und Gewissensfreiheit mit einem „touch“ des revolutionären Geistes von 1968 fanden keine deckungsgleiche Ansichten bei dem orthodoxen Kirchenmann. Herr Dr. Tebege hat mir die Möglichkeit gegeben, ihn zu achten, auch wenn wir verschiedener Meinung waren und so ganz langsam wurde mir bewußt, dass aus der achtenden Menschlichkeit ein wichtiger Aspekt der Orthodoxie erkennbar wird, nämlich grundsätzlich dem Menschen Achtung entgegenzubringen. Plakativ ausgedrückt, erst das Herz des Menschen sehen, dann die ihn prägenden Ideologien. Hier geht es überhaupt nicht um Dogmen sondern um die Begegnung der Menschen unter  dem Dach des Glaubens. Die äthiopischen Christen treffen sich nicht, um irgendwelche Dogmen zu feiern oder zu diskutieren; streiten können die Mitglieder der äthiopischen Kirche schon gut, sie kommen zusammen, weil die persönliche Begegnung wertvoll ist.

Ich musste mich mit der Orthodoxie auseinandersetzen, aber nicht wie gewohnt, um Argumente für die Ablehnung zu sammeln, sondern um Briefe für die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche entwerfen zu können. Hier fiel mir ziemlich schnell auf, dass für Herrn Dr. Tebege definierte Dogmen kaum eine Rolle spielen. Es ist nie vorgekommen, dass meine Entwürfe beanstandet wurden, weil sie zu viel protestantisches oder katholisches Gedankengut enthielten, eher mußte Herr Dr. Tebege mich bitten, das Trennende nicht zu betonen. Meine Auseinandersetzung mit der Orthodoxie führte zu meiner Bereicherung des Glaubens und heute bin ich ausgesprochen froh darüber, dass der Zufall uns zusammengeführt hat.

Meine persönlichen Schwierigkeiten habe ich mit der Dauer des orthodoxen Gottesdienstes und ich persönlich meine, dass der Gottesdienst der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche für mich zu lange dauert. Auch wenn ich an die Übersetzungen der Anaphoren denke, der Gottesdienst bleibt mir fremd. In der Auseinandersetzung mit der Orthodoxie wurde mir mein Christsein vertrauter, eben  nicht nur als eine Aneinanderreihung von gelernten Sprüchen  sondern als bewahrendes Element meines persönlichen Reifeprozesses.

Wichtig wurde für mich die Auseinandersetzung mit dem Christentum, welches auch als unterdrückte Minderheit über Jahrhunderte dem überlieferten Glauben treu blieb, und heute den Beweis dafür antritt, dass christlicher Glaube lebendig und stark ist. Die Beschäftigung mit der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche ist ein wunderbares Mittel, sich langsam vom eurozentristischem (westeuropäischen) Weltbild zu lösen.

Ich habe im Konkreten die Orthodoxie als kraftvolle lebendige Kirche erlebt mit einem grossen grundsätzlichem Gottvertrauen.

                                                           Helmuth Philipp

    

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